Gerhart Bergmann ist ein Maler, dem der Wind des Jahrhunderts gemächlich in die Segel steht, ohne ihn etwa zeitig und überstürzt in die Zukunft zu blasen. Dort, wo Bergmann malt, hat die Kunst Gegenwart. Angenommen, in dreihundert Jahren sei Bergmanns Oeuvre in Vergessenheit geraten (was wir nicht hoffen), und ein Kunsthistoriker entdeckte dann irgendwo ein unsigniertes Bild von Bergmann, so wird er vermutlich auf Anhieb sagen können: Europäisch, Mitte zwanzigstes Jahrhundert, Anfang der sechziger Jahre, und nach einer kurzen Weile des Überlegens würde er hinzufügen: Auf Grund der Farbigkeit wahrscheinlich deutsch. Tatsächlich hat sich Bergmanns Stil, der im Ganzen gesehen sehr einheitlich und geschlossen wirkt, im Rhythmus von wenigen Jahren so gewandelt, daß eine Phase vom Anfang der fünfziger Jahre von einer solchen vom Ende der fünfziger Jahre und diese wieder von einer der vom Anfang der sechziger Jahre deutlich unterschieden werden kann, auch wenn die Übergänge fließend sind, und jede der Phasen fügt sich aufs glücklichste der derzeit an die Jahre gestellten Forderung des Zeitgeistes ein. Deshalb lassen sich Bergmanns Bilder so gut datieren. Gegenwärtig löst er sich von seiner letzten Stilstufe, um eine neue, sehr interessante zu entwickeln, für die das Gesagte ebenfalls gilt.
Bergmanns bis vor kurzem entstandene Gemälde sind ungegenständlich, seine neuerdings entstandenen sind es noch. Kennzeichnend für seine Handschrift ist der Zusammenhang des farbigen Kräftespiels und das Temperament des Vortrags. Bergmann arbeitet nicht impulsiv und spontan, sondern bedächtig und besonnen, der Gang der farbigen Handlung wird mit Überlegung, manchmal fast grüblerisch geschildert. Das abwägende Vorgehen des Malers bringt die verschiedenen farbigen Impulse und Kraftlinien letzten Endes in ein sicheres Gleichgewicht. Bergmann stimmt die Farben in einem Bild genau aufeinander ab. Seine Farben sind leuchtend, kräftig, saftig und satt, zuweilen fest, derb und rustikal, zuweilen aber auch brillant in der Nuancierung. Seine Bilder sind ruhige Gestaltungen farbiger Ereignisse. Kontraste werden gegeneinander geführt, bis sie im harmonischen Zusammenklag der zum Stillstand gekommenen Bewegung erstarrt sind – eine in ihrer feinschmeckerischen Sicherheit selbstgewisse Peinture. So war es wenigstens bisher.
In den zuletzt entstandenen Gemälden ist aber eine überraschende Wendung eingetreten. Zwar ist auch in Ihnen die sichere Handschrift Bergmanns in all ihren Eigenheiten sofort erkennbar, aber sie erwecken den Eindruck, als sei der Künstler der Zufriedenheit und der fast schon routinierten Schönheit seines Könnens müde gewesen. Eine fruchtbare Unruhe hat ihn ergriffen, die sich in den drei ersten Versuchen der neuen Stufe als eine Bergmann bisher ganz unbekannte Nervosität niederschlägt. Dunkle Wirbel bewegen die Kompositionen. „Wer läßt hier wen nicht ruhen?“ heißt ein Gemälde. Die Antwort ist einfach. Der Künstler läßt sich selbst keine Ruhe, denn er hat etwas Neues entdeckt. Das zeigt sich besonders in einigen Großformaten, die so aussehen, als habe Bergmann ein fremd und bitter schmeckendes Gewürz auf der Zunge erprobt und als seltsames Ingredienz seinen Farben und Formen zugesetzt, die daraufhin heftig reagiert haben. Es sind die gleichen Farben geblieben, aber sie sind in ein anderes Verhältnis als bisher zueinander gesetzt. Sie bewegen sich nicht mehr glatt und flüssig, sondern sie ballen sich, granulieren und bilden Häute. Schwarz ist über Rot gezogen. Grün ist heftig dagegen abgesetzt, weiß unruhig flimmernd über andere Farben hinweggespachtelt. Ein unheimlicher, fast aggressiver Ausdruck ist in die einst so friedliche Bildwelt eingezogen. Der Rhythmus stockt an manchen Stellen, die Handschrift wird krakelig. Kritzelfiguren treten auf. Gestaltkonturen scheinen hier und da schemenhaft angedeutet zu sein, ohne ganz herauszukristallisieren und faßbar zu werden, und der Betrachter fragt sich zurecht: was geht hier eigentlich vor?
Was verbirgt sich hinter den bei Bergmann bisher unbekannten in die Farbe eingeschriebenen Zeichen? Hat Bergmann die Absicht, ins Lager der Neuen Figuration zu ziehen? Er ist ein Erzähler, der figürlich begonnen hat und selbst in seinen abstraktesten Kompositionen den Verdacht erweckt, immer am Geschichtenerzählen geblieben zu sein. Will er zum Figürlichen zurückkehren? das glaube ich nicht, Bergmann begreift zwar die Zeichen der Zeit, aber er antwortet darauf in seiner individuellen Weise, denn er vollzieht keine radikale Schwenkung, sondern hält sich zurück und versteht es mit bemerkenswertem Können, die neue Unruhe innerhalb der Valeurs seiner eigenen Tradition unterzubringen – ein Meister des Ausgleichs, der die Errungenschaften des Abstrakten Expressionismus, wie er z. B. durch die allmählich ermüdete Ecole de Paris bekannt geworden ist, mit einigen formalen Möglichkeiten des Neuen Realismus mühelos in Einklang bringen kann und damit eines durch das andere auffängt. Liegt hier vielleicht der mitteleuropäische Weg, – Gewinn der Mitte oder Idealer Kompromiss?
Eberhard Roters