Fülle eines Malerlebens.
Hermann Wiesler
l. Überlieferte Form.
Die Bilder stehen in einem natürlichen Überlieferungszusammenhang. Malerei war und ist Flächenkunst. Eine Fläche trägt Farbe; Farbe gliedert und belebt artistisch geordnet eine Fläche.
Bergmann bevorzugt Hochformate. Bildhöhe übersteigt um ein Geringes Bildbreite. Gestaucht, komprimiert wirkt darum die Bildfläche. Viereckig ist die Bildform. lhr Format ist handhabbar. Keine Übergröße. Der Maler weiß: Bildbedeutung ist größenunabhängig.
Auf diesen Flächen, die Wände normaler Größe gliedern, Ölfarbe. Mit Pinsel, Spachtel, Lappen aufgetragen. Satt deckende Farbhaut. Bewegte Farbigkeit. Ohne Hektik. Ohne artistischen Aufruhr. Farbleben füllt vollständig die Fläche. Unüberfüllt, gelassen, in langatmendem Farbrhythmus leben die Bilder. Erdfarben geben verhaltenes Bildlicht. Gebrochene Farbwerte, grüne, rot-braune, die Nichtfarbe schwarz. Wechselspiel von hell zu dunkel, von leicht zu schwer. Die Farbhaut steht opak, fast teppichhaft. Sie teilt leichtes Beben, verhaltene Unruhe mit. Sie atmet gleichmäßig, ohne ornamental gefesselt zu sein. Denn die Farben überlagern, hinterfangen sich, stehen entschieden, aber unaufgeregt neben- und gegeneinander.
Fast durchweg sind die Flächen gleichmäßig instrumentiert. Keine teilenden Horizonte, keine linear konstruierten Tiefen. Farbräume entstehen kraftsteigender oder fallender Farbwerte, kraft durchlichtender, sich vor- oder zurückschiebender Farbgewichte. Das Fehlen jeglicher Zeichen- oder Liniengerüste gibt den Farben einen eigenen Quell-Wert.
Sie blühen entschieden. Bergmann meidet konstruktivistische Züge. Ergebnis ist eine artistische, eine erfundene organische Wirkung. Nichts da von Natur-Präparat, von Natur-Abbildung. Wohl aber Erinnerungen an Moose, Flechten, Wände, an geologische, morphologische Erscheinungen. So können die Bilder unabhängig von ihrer tatsächlichen Größe uneingeschränkt mit einen Augen-Blick als artistische Dokumente mikroskopischer und makroskopischer Welten gesehen werden.
Zurückgenommene intensive Mischfarben leuchten bei Bergmann nachhaltiger als knallig bunte. Seine Klarheit des Diffusen hat Sogkraft. Sie fesselt und bewegt Augensinn. Dieser schweift hin und her, ordnet das Bild, belebt es nach Maßgabe der in ihm aufgerührten Phantasie.
ll. Die Bilder.
Wie es keine erkennbaren Motive gibt, die malerisch variiert, durchbuchstabiert werden, gibt es auch keine Vorzeichnungen. Jedes Bild wächst dem Maler unter der Hand. Ein Farbklang programmiert den weiteren, sei dieser nun konsonant-zustimmend oder dissonant-widersprechend. So sehr schroffe Gegensätze ausgespart bleiben, so wenig sind die Bilder „milde“. Wenn angesichts der Bergmannschen Bilderfindungen von morphologischen Erscheinungswerten die Rede sein kann, heißt das auch, wie sehr Triebkraft – verhalten, ganz und gar unauftrumpfend – in ihnen malerisch gebunden lebt.
Wie sieht das aus?
„Nebelzeichen“ (Abb. 4): Positivform – Negativform – stehen zueinander. Mischfarben von grünen, grauen Werten herrschen diffus. Doch das Bild wirkt „klar“ im Sinne (meinetwegen) einer aufbrechenden Waldlichtung. Malerische Offerheit herrscht. Der Maler arbeitet vom Hellen ins Dunkle. Dünne Lasuren beleben Übergänge. Erkennbar sind Gerhart Bergmanns Respekt, sein Schätzen der Arbeiten von Serge Poliakoff, wie dieser Flächen thetisch/antithetisch aufeinander bezieht. Neben seinem Malzwang, seiner Ausdruckslust, braucht jeder Maler irgendwann auch Vor- oder Gegen-Bilder. Kunst wächst nicht aus der hohlen Hand.
„Bausteine der Natur“ (Abb. 3): Die sonore Bildqualität ist fest aufgebaut, beinahe zeichnerisch entworfen. Dunkle bewegte Linien fixieren ohne Bleirutenstarre in Glasfenstern freie Konturen. Ein senkrechter schmaler zitronengelber Streifen schiebt sich bestimmend zwischen kalte und warme Farbtöne. Ausformuliert und gleichzeitig offen wie das Bild ist, lebt es jenseits seines Titels aus verhangenem Dunkel.
„Schriftfragmente“ (Abb. 30) fixieren schwarztonig kalligraphische Elemente. Zinnoberrot trennt/verbindet ein Keil Schwarz- und Grün-Werte. Bewegung ist aufgefangen, verhält in gefestigter Nervosität.
„Spiel mit dem Feuer“ (Abb. 23): lm Meldorfer Atelier gemalt. Eine fast flirrende luftige helle leichte Farbordnung: Auf gelbem Grund balancieren Grau, Rosa. Eingekratzte, eingewischte Schlieren verstärken das imaginäre eines flackernden Feuenfalls. Der Maler konzertiert mit Gegensätzen in einem sie homogenisierenden Gleichgewicht, das sie bewegt, ohne sie verwischend aufzuheben.
Aus „Tanz der Gebeine“ (Abb. 20) spricht in großformatiger Bildordnung ein Miteinander kleinstrukturierter Elemente, kompakt-massiv, fast steinern.
Pathetisch-gelassen gibt sich „Und sie bewegt sich doch“ (Abb. 27). Eine frei gezogene Scheibe („Mein Ehrgeiz, das so zu können“, sagt der Maler) ist bildbeherrschend – eine erlöschende Sonne versinkt in einem fetzigen Wolkenfeld. Leicht aus der Bildachse verrückt wirkt sie um so zentrierter. Ein Weißfeld linksunten, ein Schwarzfleck rechtsunten korrespondieren. Ohne das Bild einzuzwängen, erinnert es mich an chinesische Bilder auf Papier.
lm Gegensatz zu diesem Natur-Theater inszeniert der „\/ersuch einer Beschreibung“ (Abb. 25) heitere entspannte Farbbewegung. Helle schwimmende lastende Fläche im oberen Bildteil (oben und unten sind immer folgerichtig wie kompositorisch am Ende der Malarbeit bestimmt), Braun-Schwarz-Kräfte rechts, grau-braune links kommen gegen emporwachsende Farbfelder nicht an. ln der Bildordnung ist vibrierend Farbdynamik fixiert.
lll. Moderne Form.
Gerhart Bergmann bestätigt zu seinem Teil am Jahrhundertende Gegenwart und artistischen Wert viereckiger gemalter Bilder. Die Gleichzeitigkeit von \/ideohektik, Mikroprozessoren, Internet parallel zu ihnen bleibt unangefochten. Natürlich ist ein Widerspruch zwischen jener Artistik und dieser Technologie. Dieser Widerspruch trägt und definiert Bewußtsein, Zeitgeist.
Die Bilder stehen ausschließlich „für sich“. Sie illustrieren keine Lehre; sie verweisen auf keine außer ihnen existierende unmittelbar ablesbare Bedeutung religiöser oder herrschaftlicher Art. Sie zu erarbeiten, gebraucht Bergmann – nicht selbst- verständlicher als das – seine Kunst- wie Lebens-Erfahrung.
Offen, ausformuliert ziehen seine Bilder der letzten zehn Jahre außerhalb von Pathos und Belehren so etwas wie eine Summe. Die gelassene Summe einer Malererfahrung, einer Generationserfahrung in Berlin. Es stellt sich „das Problem von dem Verhältnis von frühen und späten Werken, von der Kontinuität des produktiven lchs, von seinen Wandlungen und seinen Brüchen“ (Gottfried Benn). Doch diese Spannungen können hier unerörtert bleiben.
Was zählt, sind die Gegenwart, das Wache, Fordernde, Natürliche wie Unaufgeregte der Bilder.
Mit ihnen umzugehen ist kein Freizeitvergnügen. Mal-eben-Hinglotzen bringt nichts. Waches spielerisches Sich-Einlassen öffnet keine Frohe Botschaft, wohl aber den Augen-Sinn. So geschärft, kann der Betrachter selbstbewußter durch das Internet surfen. Läßt er das für eine Weile, sieht er an der Wand vor sich kein Menetekel. Er sieht ein Zeugnis artistischer Phantasie, das seine Phantasie belebt und kräftigt – vom Bild zum Betrachter, vom Betrachter zum Bild.