Vorwort Irene Tobben zum Werkkatalog Gerhart Bergmann „Einblicke“, 2007

Gerhart Bergmann

Farben in Dur und Moll, Bilder, die das malerische Erleben sichtbar machen: Farbfelder entstehen, entwickeln eine Eigendynamik, verweben sich miteinander oder messen sich. Was tut sich, wenn man dem Rot ein Blau unterlegt wenn Blau und Gelb zu Grün werden? Unterschiedliche Methoden des Farbauftrags – Pinsel, Spachtel, Lappen – unterstreichen den Prozess. Formen als ordnende Kraft oder als Bewegung, Ausdruck der ins Bild eindringenden oder aus ihm hinausdrängenden Kräfte.

Gerhart Bergmann spricht gern von den Glücksmomenten, die er durch seinen Beruf erfahren hat. Vom schöpferischen Vorgang, eine Farbe zu erschaffen, von der Spannung, sich für eine dominierende Farbe als Ausgangspunkt zu entscheiden, sich zu entscheiden, ob sie ins Dunkle oder Helle tendieren soll: Umbra oder Ocker, Terra di Siena oder grüne Erde. Und von den glücklichen Momenten, wenn man noch unentschlossen die Leinwand von unten bis oben „vollkritzelt“, und wenn dann plötzlich der Vorhang reißt und man weiß, wo es hingehen soll.

Wie man eine Form aus grüner Erde entwickelt, konnte Bergmann am Beginn seines Studiums 1943 in Dresden bei Canaletto studieren, dem seine große Liebe gilt. Aus dieser Zeit und den Seherfahrungen vor den alten Meistern in der Gemäldegalerie mag auch eine Vorliebe für das Beimischen von Grau herrühren, das an die Patina alter Bilder denken lässt. Unter seinen Lehrern an der Kunstakademie erwähnt Bergmann nur einen: Ernst Richard Dietze, der unbefleckt war, der den Studenten den Schlüssel zur Bibliothek gab, wo sie – bei Käthe Kollwitz und Max Liebermann – Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks studieren konnten, von denen im Studium nicht die Rede war. Nach dem Krieg folgten Studienjahre bei Max Pechstein in Berlin, 1952/53 war Bergmann mit einem Stipendium in Paris, wo er im Atelier von Fernand Léger arbeitete. In der Ausstellung sind Zeichnungen aus den frühen Jahren zu sehen, die eine Auseinandersetzung mit der Formsprache Legers und auch Oskar Schlemmers erkennen lassen. Allerdings scheint sie bei Bergmann ins Kritisch-Distanzierte gewendet, wie in „Fußball“ von 1954. Die Fußballweltmeisterschaft scheint hier nur den Vorwand geliefert zu haben, um über menschlich-männliche Zurichtung nachzudenken, über Einsamkeit und Ausgeliefertsein in einer Massenkultur, über Devotion und Aggression. Über Erstarrung in der Form. Themen und Erfahrungen, die die Generation Bergmanns nachhaltig prägten.

In der Ausstellung sind vorwiegend jüngere Arbeiten Gerhart Bergmanns zu sehen, ein kleiner Ausschnitt der Arbeiten der letzten Jahre. Man gewinnt den Eindruck, hier habe sich ein Maler noch einmal all der vielen Themen angenommen, die ihn zeitlebens beschäftigt haben, bereichert um die gelassenere Sichtweise, die Lebenserfahrung und Alter mit sich bringen. Bergmann ist immer ein eher besonnener Maler gewesen, der auch Stunden vor der Leinwand sitzen kann, ohne zu malen, und auch dies zu den beglückenden Momenten zählt. Den Erzählzusammenhang in seinen Bildern stellt er über die Formen her, die, nur angeschnitten, oft über die Bilder hinausweisen. Über Formen und Farben, die mal ganz fallengelassen, dann wieder aufgegriffen werden.

Dem Betrachter stellen sich bei vielen Bildern Assoziationen zur Landschaft her, zu Pflanzen oder Gesteinen. Dazu ein kleiner Exkurs. Als Karl Blossfeldt 1928 seine photographischen Pflanzenbilder – vielfache Vergrößerungen von Pflanzen – veröffentlichte, gab er dem Buch den Titel „Urformen der Kunst“. Walter Benjamin schrieb dazu eine Rezension mit dem Titel „Neues von Blumen“ und fügte die Frage hinzu: „Was kann das anderes heißen als Urformen der Natur?“ Formen also, die „niemals ein bloßes Vorbild der Kunst, sondern von Beginn an als .Urformen in allem Geschaffenen am Werke waren.“ Es mag an diesen Urformen liegen, dass wir – die Betrachter – uns von ihnen direkt angesprochen fühlen. Bei „Verzicht auf Rot“, 2006, mag man sich das flirrende Licht auf Birkenstämmen vorstellen, Flechten und Moose auf lehmfarbenem Grund, der durchzogen ist vom kalten und klaren Blau der Gewässer. Vorwiegend horizontale Linien bestimmen den Bildaufbau, die vertikalen Linien heben dies hervor, unterstreichen es. Der Bildtitel lenkt die Aufmerksamkeit hin zum Rot, „Schriftzeichen l“, 2006, ein Bild, das in den Bereich der kosmischen Themen im Werk Bergmanns zählt. Eine hellrote Ellipse, wie auf einem Sockel, in dunklem rotem Feld. Die Tiefe gewinnt das Bild allein aus der Farbe. Dunkle „Schriftzeichen“, wie im Entstehungsprozess, beugen sich aus der Tiefe zu uns hin, andere entschwinden in die weite Unendlichkeit der nach oben offenen Ellipse.

Bergmann, so scheint es, hat sich das Staunen-Können vor der Schöpfung bewahrt. Bilder, aus dem Kreis entwickelt, können im Titel behaupten „Das Ende der Spielzeit oder der letzte Akt“, 2005. Aber sie reden doch gleichzeitig davon, dass sich das Weltenrad weiterdreht, dass auf den Abend ein Morgen folgt. Wie auch „Morgengruß“, 2003 vom verlässlichen immer wieder Aufgehen der Sonne spricht. Doch wird hier, eher beiläufig, ein weiteres häufiges Thema Bergmanns ins Spiel gebracht: die grafischen Netze. Mal erscheinen sie wie eine Reminiszenz an das malerische Hilfsmittel zur Strukturierung der Leinwand, mal umgrenzen sie Farbfelder, wie ein Flächennutzungsplan im Bereich der Malerei, und dem Betrachter wird bewusst, welche große Rolle ihnen in der Strukturierung oder Orientierung in der Welt zukommen. Orientierung und Schutz einerseits, aber auch geeignet, die Entfaltung zu behindern oder gar zu verhindern „Gefangen im Netz“, 2006, spricht von diesem existentiellen Aspekt. Und man wird erneut auf die Linien in Bergmanns Werk gelenkt. Auf die senkrechten Linien, Risse, die beunruhigen, die uns zerreißen können. Aber dann auch wieder zum Träger eines Aufbruchs werden. „Die Kraft der Vorstellung“, 2001, scheint genau dies zum Thema zu haben. Den Titel kann man geradezu als programmatisch sehen: von der Imaginationskraft des Malers ist die Rede, die sich mit dem Bild – der Vorstellung als Darstellung – an die Phantasie, die Vorstellungskraft des Betrachters wendet. Auch hier sind – am rechten Rand des rotblauen Feldes, am Übergang zum Grau – Netzstrukturen zu erkennen, wie im Zerreißen begriffen, wie der Beginn der Befreiung aus dem Netz. Man registriert eine Vielzahl an Grautönen, vor denen der Begriff kapitulieren muss, und in diesen grauen Flächen mit den scharfen Linien hört man förmlich das Knistern des Aufbruchs.

Das Beimischen von Grau. In „Nachtfalter“, 1990, dem Magenta beigefügt, lässt es das Rot im Zentrum desto glühender hervorbrechen, ebenso das Blau des „Auges“, unterstreicht den dämonischen, fast bösen Aspekt. Das Bild nimmt eine Sonderstellung im Oeuvre Bergmanns ein. Eine ganz andere Rolle kommt dem beigemischten Grau in „Federleicht“, 2006, zu, wo es die federleichten Figurationen auf ihrem Flug von links nach rechts, in der Zukunftsrichtung, an den Ort bindet, aber auch an die Patina alter Bilder erinnert. Auch der gemalte Rahmen, die ihn überlagernde Figur, weisen in diese Richtung. Die Figurationen aber erinnern an das kleine blaue Dreieck in „Auf die Spitze getrieben“, 2004, dem, stellvertretend für sie, auf der lehmfarbenen Pyramidenspitze eine ironisch-heitere Würdigung widerfährt.

März 2007. lm Atelier von Gerhart Bergmann schwebt leichter Terpentingeruch, die Farben auf der Leinwand sind noch feucht, Rosa- und Weißtöne – wie sie sich auf dem Bild „Verzicht auf Rot“ ankündigten – als Grundstimmung. Auf dem Tisch liegen Zeichnungen eines „Schmerzensmannes“ in seitlicher Perspektive, Auseinandersetzung mit der Holzskulptur „Kindheitstrauma l“ von Hans Scheib, die im Nebenzimmer steht. Bergmann hat sie im Dezember vergangenen Jahres erstanden. „Malen ist Leben“, sagt Gerhart Bergmann.

lrene Tobben, Berlin 2007

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